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Gabriele Lukacs

Die Mitra von Wien ... Ein Zeichen liegt über der Stadt

Aktualisiert: 18. Okt. 2022

Viel ist über das Werden Wiens bereits geschrieben worden. Unzählige Stadtführer berichten in immer wieder gleicher Weise über Entstehung und geschichtliche Entwicklung dieser Metropole. Kelten, Römer, Germanen, alle haben sie ihre Spuren hinterlassen. Die günstige Lage an den Hängen des Wienerwaldes und am Donaustrom verdanken wir wohl den Kelten, die als erste Siedler hier bekannt sind. Den Grundstein zum heutigen Aussehen Wiens legten die Römer mit einer Garnison am Donaulimes. Die Einteilung in vier Viertel mit zwei einander kreuzenden Hauptstraßen, der Via Principalis und der Via Decumana, sowie der umgebenden Stadtmauer folgte dem Muster der „roma quadrata“ und war in allen Garnisonsstädten des Imperium Romanum identisch. Heute noch ist im Stadtplan von Wien dieses römische Stadtgründungsmuster erkennbar. Danach kam das „dunkle Mittelalter“. Ab der karolingischen Ära kann man erstmals von einer Stadtentwicklung sprechen. Und nun wollen wir uns von der konventionellen Fortschreibung der Geschichte Wiens ein wenig entfernen und eine andere Sichtweise wagen.


Ab der Christianisierung übernehmen Kirchenbauten eine zentrale Rolle in Wien. Man baute das himmlische Jerusalem, die ideale Stadt, auf den Grundmauern des zerstörten Römerkastells. Und zwar nicht planlos, sondern nach festgelegten Regeln. Das Stadtzentrum war der heilige Ort, um den sich alles gruppierte. Eine mittelalterliche Stadt hat sich demnach nicht aus sich selbst heraus entwickelt, indem sie durch Bevölkerungswachstum immer größer wurde, sondern sie wurde auf dem Reißbrett entworfen. Und zwar von Stadtplanern, die sich an die Heilige Geometrie, den Maßangaben in der Bibel hielten. Diese Erkenntnis ist insofern überraschend, als wir immer vom Wachsen und Werden und nie vom Planen einer mittelalterlichen Stadt sprechen. Dieser Aspekt der Stadtgründung wird selten bis gar nicht in den Geschichtsbüchern behandelt. Umso mehr wollen wir ihn am Beispiel Wiens einmal genauer betrachten.


Das himmlische Jerusalem


Wien Mittelalter-Stadtplanung (Plan Erwin Reidinger, Zeichnung G.Lukacs)

Die Anweisungen zum Städtebau sah man als von Gott selbst gegeben, denn er war der oberste Baumeister, Architekt und Geometer. Maßangaben, Proportionen und Anleitungen fand man im Alten Testament. Mehrere Stellen berichten über die Vision des Ezechiel mit der von einem Engel vermessenen Stadt. Im Neuen Testament beschreibt der Evangelist Johannes seine Vision von der idealen Stadt, dem himmlischen Jerusalem. Der Kirchenlehrer Augustinus berichtet, dass Gott die Welt durch Zahlen und geometrische Linien ordnet und das richtige Maß angibt. Daraus leitete man den Gründungsbauplan einer Stadt ab.

Um 1050 befanden sich nördlich der Kleeblattgasse eine Burg und drei Pfarrkirchen, berichtet die Wien-Chronik. Die ältesten Kirchen Wiens, die ab der karolingischen Epoche auf römischen Grundmauern entstanden, sind St. Ruprecht, St. Peter und Maria am Gestade (eine Vorgängerkapelle ist ab dem 9. Jahrhundert belegt, eine Kirche ab 1137). Der Grund für die Errichtung von drei Kirchen ist die Anweisung im Alten Testament drei Mal im Jahr die Hauptfeste zu feiern, welche man auf drei Kirchen verteilte, und zwar zeitlich und räumlich gleichermaßen. In kleinen Städten erfüllten die Pfarr-, Spitals- und Klosterkirche diese Aufgabe, in größeren baute man drei Pfarrkirchen.


Die räumliche Aufteilung der drei Wiener Kirchenstandorte folgt dem Schema der Dreiteilung des himmlischen Jerusalem. Wer nun den Stadtplan genauer betrachtet, erkennt, dass diese genannten Kirchen in einem Dreieck zueinander stehen. Verbindet man zwei der Kirchen mit einer Linie auf dem Plan und zieht von dieser mittig einen senkrechten Strich zur dritten Kirche, ergibt sich das Zeichen des T-Kreuzes. Es ist das so genannte TAU, der griechische Buchstabe T und das Symbol für Kreuz, griechisch Stauros mit dem Zahlwert 777 (6+1+400+100+70+200 = 777). Warum wählte man diese Kirchenstandorte? Was war der Zweck dieses Symbols mit dem magischen Zahlwert?


Im Zeichen des Kreuzes


Man legte mit der TAU-Formation der ältesten Kirchen Wiens ein Zeichen über die Stadt, ein magisches Siegel, getreu dem TAU-Muster des himmlischen Jerusalem und getreu der Vorgabe „in modum crucis – im Zeichen des Kreuzes sollt ihr bauen“. Dieses magische Zeichen sollte die Stadt schützen und alle Gefahren von ihr fernhalten.


Die Dreiteilung wurde aber nicht nur räumlich vollzogen, sondern auch zeitlich. Wie ist das möglich? Um diese Frage zu beantworten muss man die Patrozinien der Kirchen und ihre Festtage aufschlüsseln. Die Patrozinien sind: St. Ruprecht 27. März, St. Peter 29. Juni und Maria ad presepem 25. Dezember (hier folgte man offenbar dem Muster Roms). Mit Staunen erkennt man nun, dass es jeweils um die 90 Tage sind, die zwischen den Festtagen der erwähnten Kirchenheiligen liegen. 25.12.+91Tage=27.3.+93Tage=29.6.+181(90+91). In Summe 365 Tage, womit ein ganzes Jahr durch die Festtage der Kirchenheiligen strukturiert ist.


TAU und X

Ein magisches Zeichen, Drudenfuß in der Franziskanergruft

Der Babenberger Herzog Heinrich Jasomirgott veranlasste die Erweiterung Wiens durch irische Benediktiner, genannt „Schottenmönche“, die er aus Regensburg berief und unterstellte ihnen St. Peter, St. Ruprecht und „eine (nicht näher genannte) Marienkirche“. Mit dem Bau der Schottenkirche 1155 schuf Heinrich Jasomirgott nicht nur ein Mausoleum für sich selbst, sondern erweiterte das magische TAU zu einer größeren Schutzzone. Die Schottenkirche bildete nun das linke, St. Ruprecht das rechte Ende des Kreuzbalkens, St. Peter das Ende des Längsbalkens. Wie perfekt diese Formation geplant war, erkennt man daran, dass die Querverbindung Schottenkirche–St.Ruprecht exakt West-Ost orientiert ist und die Kirchen in einem rechtwinkeligen, pythagoräischen Dreieck zueinader stehen. Pythagoräische Dreiecke galten ebenso wie Kreise oder Pentagramme als geometrische Figuren mit magischer Wirkung. Getreu dem Vorbild Jerusalems steht im Norden Wiens der unverbaute Berg mit der Stadtansicht, der die Babenbergerburg beherbergte. Später, nämlich 1421, wird dann das Alte Rathaus am Kreuzungspunkt des TAU errichtet werden. Sicher auch das kein zufällig gewählter Standort. Bezieht man die Kirche Maria am Gestade in die neue Formation mit ein, ergibt sich das christliche Kreuzsymbol mit dem überstehenden Längsbalken. Heinrich hat nicht nur die Schutzzone erweitert, sondern auch ein neues Siegel, das christliche Kreuz, über die Stadt gelegt.


Die Mitra oder das Kirchen-Pentagramm


Eine neuerliche Stadterweiterung unter Heinrich Jasomirgott bringt eine neue Formation. Sie umschließt St. Ruprecht, St. Stefan, St. Michael und die Schottenkirche auf einem Kreis mit dem Radius 200 Klafter (380 Meter). Die Lage der Kirchen entspricht in etwa den Himmelsrichtungen. Die Vorgabe liefert wiederum die Bibel, die besagt, dass kein Jude mehr als 2000 Ellen von der Synagoge entfernt wohnen soll. Diese 2000 Ellen wurden für Christen verschieden interpretiert: als 2000 Schritte, bei den Benediktinern zwei römische Meilen (drei Kilometer) und den Zisterziensern als cis tertium (jenseits der drei Meilen). Ein Beispiel für kleinere Entfernungen sind die Gruppe der Schottenklöster in Regensburg, Nürnberg, Konstanz und Wien. Dort waren es 200 Klafter (380 Meter).


Plan mit den ältesten Kirchenstandorten

Bezieht man wieder Maria am Gestade als fünfte Kirche mit ein, ergibt sich das Muster eines Pentagramms mit St. Peter im Schnittpunkt der Verbindungslinien. Nun wurde erstmals das Schutzsymbol Pentagramm oder die Bischofsmütze verwendet. Die Mitra liegt seit dieser Zeit unverrückbar als Zeichen über der Stadt.


Die Codezahl 111


Wien dürfte mehrere Male umprogrammiert worden sein, je nachdem, ob der Herrscher oder die Kirche die Stadtentwicklung plante. Eine andere Konzeption der Stadt als Heinrich Jasomirgott planten die Passauer Bischöfe für Wien. Als dritte Wiener Pfarre wird St. Michael erwähnt gemeinsam mit St. Peter und St. Stefan … sie ergeben auch vielmehr das Bild einer Kirchenfamilie und eine viel logischere Patrozinienjahresteilung.


Diese ist: 27. März St. Ruprecht – 29. Juni St. Peter – 29. September St. Michael – 26. Dezember St. Stefan. Diese Festtage in den Monaten 3-6-9-12 entsprechen einer fast exakten vierteljährlichen Teilung des Jahres mit 4 x 91,5 Tagen, in Summe 366 Tagen. Zählt man nun die Ziffern des jeweiligen Datumstages zusammen ergibt sich 27 + 29+ 29 + 26 = 111. Diese Zahl ist erstaunlicherweise identisch mit der Codezahl des Stephansdoms und die verdreifachte Schlüsselzahl des Grundmaßes. Zufall oder bewusste Planung?

Diese verblüffende Erkenntnis zur Entstehung der Wiener Kirchen, ihrer Lage und ihrer Patrozinien kann man generell auf alle mittelalterlichen Städte Europas anwenden. Es ist überall dasselbe Ordnungsprinzip: Eine Komposition aus Kirchen und Klöstern, die nach geomantischen, astrologischen und biblischen Gesetzen angeordnet ist und durch diese Struktur dem Menschen Schutz bietet.


TIPP

Gabriele Lukacs, Geheimnisvolles Wien. Magische Siegel, verborgene Zeichen und rätselhafte Codes, 2022, Styriabooks


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