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Stephan Leiter

Tagundnachtgleiche - Im Gleichgewicht der Pole

Aktualisiert: 27. März 2023

Wenn wir den Lauf der Sonne übers Jahr beobachten, erkennen wir wie die Sonne im Jahreslauf ihre Auf- und Untergangspunkte am Horizont laufend verändert. Die Sonne lässt ihre Aufgangspunkte am östlichen Horizont von ihrem südöstlichsten Aufgangspunkt zur Wintersonnenwende immer weiter nach Norden wandern. Während der langen Wanderung kommt einer ihrer Aufgangspunkte exakt im Osten zu liegen. Zur Frühlings-Tagundnachtgleiche halten sich Tag und Nacht die Waage. Nachdem sie den Osten überquert hat, wandert sie mit ihren Aufgangspunkten am Horizont allmählich weiter nach Norden, bis sie ihren nordöstlichsten Aufgangspunkt zur Sommersonnenwende im Juni erreicht hat.


Nach der kürzesten Nacht und dem längsten Tag im Jahr kehrt die Sonne um und beginnt mit ihrer Wanderung am Horizont wieder langsam Richtung Süden. Zur Herbsttagundnachtgleiche geht sie wieder exakt im Osten auf, wandert dann weiter nach Süden bis sie zu Mittwinter, zur längsten Nacht und dem kürzesten Tag, wieder an ihrem südöstlichsten Aufgangspunkt angekommen ist.


Entsprechend wandern ihre Untergangspunkte am westlichen Horizont vom südwestlichsten Untergangspunkt zur Wintersonnenwende über den Untergangspunkt exakt im Westen zur Frühlingstagundnachtgleiche weiter zum nordwestlichsten Untergangspunkt zur Sommersonnenwende und wieder zurück nach Süden um zur Herbsttagundnachtgleiche ihren Untergangspunkt wieder exakt in den Westen zu legen und nach einer weiteren stetigen Wanderung zur Wintersonnenwende wieder den südwestlichsten Untergangspunkt am Horizont zu erreichen.

Auf- und Untergangspunkte der Sonne im Jahreslauf - Berechnet mit www.sonnenverlauf.de
Auf- und Untergangspunkte der Sonne im Jahreslauf - Berechnet mit www.sonnenverlauf.de

Das Sonnenrad gibt den Tag- und Nachtrhythmus vor, aber auch den Rhythmus des Jahres, den es auf den Horizont zeichnet. Es erzählt uns den ewigen Rhythmus vom Kommen und Gehen, vom Werden, Vergehen und der Wiederkehr. Es ist der magische Rhythmus des Lebens, in den wir alle eingebunden sind und der uns trägt. Einem Riesenrad gleich, das uns unaufhörlich durch die sich gegenseitig bedingenden und ergänzenden Pole trägt. Vom hellen Tag in die dunkle Nacht und zurück in den hellen Tag. Vom kalten, entbehrungsreichen Winter in den warmen Sommer der Fülle und Überfülle und wieder zurück in den Winter, vom Leben in den Tod und wieder zurück in das Leben.


Und doch gibt es entlang der vielen kleinen und großen Zyklen, die unaufhaltsam durch die Pole reisen, bestimmte Punkte, bestimmte Schwellensituationen, die eine besondere Kraft in sich, etwas Mystisches an sich, zu haben scheinen. Im Jahresrad der Sonne sind dies die Sonnenwenden im Dezember und im Juni und die Tagundnachtgleichen im Frühling und im Herbst. Jene Punkte, an denen entweder einer der beiden Pole am stärksten ist, der Tag oder die Nacht, das Licht oder der Schatten, das Helle oder das Dunkle oder jene, an denen die Pole im absoluten Gleichgewicht sind, an denen Tag und Nacht gleich lang sind an denen sich Hell und Dunkel, Licht und Schatten die Waage halten.


Die Frühlingstagundnachtgleiche, markiert den Mittelpunkt, die Halbzeit, der Reise der Sonne und ihrer Aufgangspunkte von ihrem südöstlichsten zu ihrem nordöstlichsten Aufgangspunkt. Eine besondere Schwellenzeit. Hell und Dunkel sind gänzlich ausgeglichen, in absoluter Balance. Die Frühlingstagundnachtgleiche, genauso wie die Herbsttagundnachtgleiche, markieren einen Übergangspunkt. Ab jetzt wird einer der beiden Pole wieder stärker und mit ihm alles, was damit verbunden ist bzw. mit ihm in Analogie steht, und der gegenüberliegende Pol wird schwächer.


Seit der Wintersonnenwende wurden die Tage zwar immer länger und doch hatte das Dunkle gegenüber dem Hellen noch die Oberhand. Erst ab jetzt beginnt das Helle das Dunkel zurückzudrängen bis es zur Sommersonnenwende seinen Höhepunkt erreicht.


Zur Wintersonnenwende kam die Göttin aus der Unterwelt in ihrem weißen Aspekt, als lichtes, junges Mädchen mit ihrem ganzen Gefolge, dem neuen Leben, dem Licht, zurück auf die Erde. Der dunkle Aspekt war aber immer noch präsent. Erst jetzt, zur Tagundnachtgleiche, wird der dunkle Aspekt vom weißen Aspekt überlagert. Das Mädchen hat sich zu einer jungen, selbstbestimmten Frau entwickelt, die über Fluren, durch Auen und Wälder schreitet. Alles, was sie berührt, beginnt zu grünen und zu blühen. Auf den grauschwarzen Zweigen ihres Schwarzdorns, der Schlehe, zeigt sie sich im weißen Blütenkleid, lange bevor sich die grünen Blätter auszubilden beginnen.

Die Frühlingsgöttin manifestiert sich im Blütenkleid des Schwardorns
Die Frühlingsgöttin manifestiert sich im Blütenkleid des Schwarzdorns

Vielerorts haben sich vorchristliche Feuerbräuche bis heute gehalten, deren Ursprünge und Hintergründe vielfach in den Tiefen der Zeit versunken sind. Durch die Jahreskreisfeste entlang des Jahreskreises wurden die Göttin und ihre unsichtbaren Wirkkräfte unterstützt, auf dass sie die Kraft hatte, das Jahresrad immer weiter zu drehen. Nur wenn sich das Rad immer weiterdrehte, hatte die Schöpfung Bestand.


Jetzt, zur Frühlingstagundnachtgleiche, wurde bzw. wird symbolisch die Winteralte als Strohpuppe z.B. in Rautenform verbrannt. Die greise Mittwinterfrau soll dem Frühlingsmädchen, der jungen Frau endlich Platz machen, damit diese das fruchtbare Leben in Pflanzen und Tiere hineintragen möge.


Von alten Göttinnen-Kultplätzen werden glühende Scheiben ins Tal geschlagen. Sie symbolisieren die Sonne, das Licht, die helle Zeit, die jetzt ins Land einziehen möge. Dazu werden Segenssprüche und -reime gesprochen, damit die kommende helle Zeit den Menschen Nahrung und Fruchtbarkeit bringt:

„Scheibe, Scheibe, dich will ich treiben, Schmalz in der Pfanne, Korn in der Wanne, Käse in der Tasche, Pflug in der Erde! Schau wie meine Scheibe fliegt!“
Das Scheibenschlagen - Feuerbrauch zu Frühlingsbeginn
Das Scheibenschlagen - Feuerbrauch zu Frühlingsbeginn

Auch Perchtenläufe sind da und dort noch zu beobachten. Die Frau Percht, oft heißt sie auch Berchta oder Perachta, zieht durch die Ortschaften, bringt Segen über Haus und Hof und überträgt durch Berührung mit der Weidenrute die Fruchtbarkeit auf Haustiere und Frauen mit Kinderwunsch.


So wie wir uns im Herbst zurückgezogen haben, kommen auch wir Menschen, genau wie die Natur – von der wir je ein Teil sind -, aus dem Inneren, von der Innenschau, zurück ins Äußere. Alles wird wieder lebendig und farbenprächtig und lenkt unsere Wahrnehmung nach außen. Wie die Natur beginnen wir jetzt wieder im Äußeren zu wirken.


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