Mit der Herbst-Tagundnachtgleiche haben wir heute Nacht eine weitere große Schwelle im Jahreskreis überschritten. Die Schwelle von der hellen in die dunkle Zeit des Jahres. Bisher waren die Tage länger als die Nächte. Ab jetzt ist es genau umgekehrt. Die Früchte der Felder, das reife Korn, wurden bereits geerntet und die Kornkinder wurden von der Kornmutter auf ihre glückliche Jenseitsreise geführt. Die Kornkinder sind gestorben, um den Menschen eine reiche Ernte zu schenken. Das Korn wird zu weißem Mehl verarbeitet um dann, als gebackenes Brot, für reiche Nahrung im Winter zu sorgen.
Bevor die Ernte abgeschlossen wird, werden jetzt noch die vielen weiteren Gaben der Erdmutter, die zahlreichen Herbstfrüchte wie Äpfel, Birnen, Trauben, und Nüsse geerntet und eingelagert. Dann wird es Zeit, der großen Göttin für die geerntete Fülle zu danken. Es beginnen die großen Herbstfeste, allen voran die Erntedankfeste. Die Erntegöttin hat den Menschen ihre reichen Gaben geschenkt, die Speicher sind prall gefüllt und das Überleben des Winters ist gesichert.
Das Erntedankfest war einst ein Fest zu Ehren der schenkenden Erdmutter. Es wurde von der ganzen Gemeinschaft mit großem Aufwand an Speis und Trank gefeiert. Fast scheint es, als ob sich die Menschen mit diesem Fest der Fülle und Überfülle noch einmal gegen die herannahende dunkle Zeit stemmen wollten, ähnlich der Natur, die uns - vor dem unweigerlichen Ende ihrer Vegetationsperiode - ein letztes Mal ihre ganze Lebenskraft in Form ihrer bunt gefärbten Blätter zeigt und in der ganzen Farbenpracht des Sommers erstrahlt, so als wolle sie uns sagen, wir sollen uns keine Sorgen machen, denn mit der Wintersonnenwende wird sie aus einer glücklichen Jenseitsreise in einem neuen Zyklus zu uns Menschen zurückkehren.
So kann das Erntedankfest als auch ein symbolisches Fest der Stärkung für diese Reise betrachtet werden. Die Menschen stärken sich selbst an Speis und Trank, um die lange Reise durch den Winter gut zu überstehen und mit den Opfergaben an die Tod-im-Leben Göttin, bitten die Menschen für eine gute, gestärkte Wiederkehr für alles, was sich jetzt in die Unterwelt auf eine Jenseitsreise begibt. Die Opfergaben dienen den Reisenden durch die Unterwelt auch symbolisch als Stärkung, damit sie in einem neuen Zyklus zurückkehren mögen.
Erst die Jenseitsreise durch die Unterwelt, einer Welt des Überflusses an allen Dingen, ermöglicht eine Transformation, eine Verjüngung, um erneuert und voller Kraft in einen neuen Zyklus gehen zu können. Denn dort, in der Unterwelt, sitzt die Erdmutter, die große dreigestaltige Göttin, in ihrem schwarzen Aspekt. Als Weise Frau hütet sie den magischen Kessel sämtlicher Lebensweisheiten, auch jenen von Verjüngung und Transformation, von Tod und Wiederkehr. Alles und jeder der zu ihr zurückkehrt geht durch diesen Jungbrunnen, um zu gegebener Zeit - gestärkt und verjüngt - wieder auf die Erde zurückzukehren. Alles hat seinen Platz und seine Zeit, im ewigen Zyklus von Werden, Sein, Vergehen und Wiederkehr.
Ein sehr stimmiger Beitrag! Danke!